Gewinnen Krankenhauskeime den Wettlauf bei Infektionen?
Ärzte ersetzen Gelenke und Herzklappen, transplantieren Organe und bekämpfen Krebserkrankungen. Dem Immunsystem der Patienten helfen Antibiotika, um bakterielle Infektionen abzuwehren. Doch vielfach resistente Keime widerstehen dem Antibiotika-Angriff und gefährden die moderne Medizin. Menschen sterben heute an Infektionen, die schon längst keine ernste Bedrohung mehr waren. Gegen erste Bakterienstämme hat die Medizin keine Mittel mehr in der Hand. Und erfolgversprechende Alternativen sind in den nächsten Jahren nicht zu erwarten.
Anfang November 2011 informierte das Klinikum Bremen-Mitte die Öffentlichkeit über den Tod dreier Babys. Sie starben im August und Oktober auf der Frühgeborenen-Intensivstation an Infektionen mit Klebsiella pneumoniae. Mindestens neun weitere Frühchen erkrankten. Der Klebsiella-Stamm trug eine ESBL-Resistenz. ESBL steht für „extended spectrum beta-lactamases“ und bedeutet, dass die üblicherweise verwendeten beta-Laktam-Antibiotika – dazu zählen alle Abkömmlinge des Penizillins, aber auch Cephalosporine – nicht mehr wirken.
Infektionen mit Krankenhauskeimen treffen vor allem immunschwache und frisch operierte Personen, sowie Patienten der Intensivstationen. In deutschen Krankenhäusern infizieren sich nach Angaben des Robert-Koch-Instituts jährlich 600.000 bis 800.000 Patienten mit Bakterien, 10.000 bis 15.000 sterben daran. Zwei Drittel dieser Keime importieren die Patienten selbst in die Klinik, wo sie vom Pflegepersonal auf weitere Patienten übertragen werden. Eine sorgfältigere Krankenhaushygiene könnte die Zahl der Infektionen um 20 bis 30 Prozent senken. Multiresistente Erreger (MRE) verschärfen die Situation zusätzlich, denn sie sind zunehmend unempfindlich gegen viele Antibiotika.
Antibiotika fördern Multiresistenzen
Weltweit sind MRE auf dem Vormarsch. Die Weltgesundheitsorganisation sieht die Erfolge der modernen Medizin zunehmend aufs Spiel gesetzt. Ohne wirksame Antibiotika seien viele Operationen und Chemotherapien gegen Krebs in ihrem Erfolg gefährdet.
Staphylococcus aureus ist ein grampositives Bakterium, das unbemerkt in etwa 30 Prozent der menschlichen Nasen lebt. Gelangt es über Wunden oder Katheder in den Körper, löst es Wundinfektionen, Lungenentzündung und „Blutvergiftung“ aus. Als „Superbakterium“ oder „Killerkeim“ ist der Methicillin-resistente S. aureus (MRSA) bekannt geworden. 1995 war MRSA zu acht Prozent an S. aureus-Infektionen hierzulande beteiligt. Bis 2001 stieg der Anteil auf 20 Prozent und ist seitdem stabil.
Der Antibiotikaverbrauch in Deutschland nimmt seit vielen Jahren nur geringfügig zu. Der Anteil „besserer“ Breitband-Antibiotika darunter – wie Cephalosporine und Fluorchinolone, die schon zu den „Reserveantibiotika“ zählten – stieg 2009 auf 40 Prozent. Ein hoher allgemeiner Antibiotikaverbrauch fördert die Verbreitung resistenter Bakterien. Breitband-Antibiotika aber üben einen noch höheren Selektionsdruck aus, weil sie verschiedene Resistenzen überwinden. Aber Bakterien, die ihre Anpassungsfähigkeit in drei Milliarden Jahren optimiert haben, kontern mit Multiresistenzen. Besonders aktiv verbreiten sich diese zurzeit unter Coli-Bakterien, Klebsiellen, Pseudomonaden und anderen gramnegativen Bakterien.
Antibiotikaresistenz
Antibiotika sind Arzneimittel gegen bakterielle Infektionserkrankungen. Sie wirken wachstumshemmend oder abtötend. Bakterien entgehen diesen biologischen Waffen durch Resistenzen: (i) Eine zufällige Mutation auf DNA-Ebene sorgt für ein verändertes Zielmolekül, das vom Antibiotikum nicht mehr angegriffen werden kann. (ii) Das Bakterium hat (ein) Resistenzgen(e) von einem anderen Bakterium erworben, das sich damit vor seinen eigenen chemischen Waffen schützt.
Resistenzgene sammeln sich bevorzugt auf Plasmiden (kleine DNA-Ringe) oder Transposons („springende Gene“) an. Mit diesen werden sie innerhalb einer Bakterienart und sogar über Artgrenzen hinweg weitergegeben (horizontaler Gentransfer).
„MRSA wird uns als Problem erhalten bleiben, ist aber voraussichtlich in den Griff zu bekommen. Die Gramnegativen sind die Gefahr des nächsten Jahrzehnts.“
(Harald Seifert vom Institut für Medizinische Mikrobiologie,Immunologie und Hygiene der Uniklinik Köln)
Der Mensch verbreitet Bakterien über Ländergrenzen hinweg, von einem Kontinent zum anderen. Im Jahr 2008 brachte ein schwedischer Patient einen K. pneumoniae-Stamm aus Indien mit, der eine bis dahin unbekannte (Neu-Delhi-) Metallo-Beta-Laktamase besaß. Das NDM-1-Gen hat sich seither weltweit auf mindestens 27 Länder und parallel acht verschiedene Bakterienarten ausgebreitet. Dies ist besonders problematisch, weil NDM-1 nicht nur alle beta-Laktame, sondern auch Carbapenem-Antibiotika inaktiviert. Diese Klasse gilt als letzte Reserve bei Gramnegativen. Weil NDM-1 oft in bereits multiresistenten Stämmen auftritt, sind beispielsweise erste Acinetobacter-Bakterien gegen jedes verfügbare Antibiotikum resistent. „Zum Glück zählen diese Bakterien nicht zu den wirklich gefährlichen Erregern“, sagt Harald Seifert, der selbst an MRSA und dem gramnegativen Acinetobacter forscht, „aber wir brauchen dringend neue Medikamente gegen multiresistente, gramnegative Bakterien“.
Neue Antibiotika wecken keine großen Hoffnungen
Nach dem Boom der 80er und 90er Jahre kamen nur wenig neue Antibiotika auf den Markt. „Die Pharmaunternehmen haben die Resistenzausbreitung unterschätzt. Einige verlegten sich auf andere Märkte“, sagt Laurenz Kellenberger vom Schweizer Pharmaunternehmen Basilea. Mit neuen Technologien – den „Hochdurchsatz-Screenings“ – erwarteten die Firmen schnellere Erfolge. „Die Identifizierung neuer Strukturklassen mit antimikrobieller Wirkung ist jedoch viel schwieriger als angenommen“, sagt Kellenberger. Neue Antibiotika gehören deshalb meist zu bekannten Strukturklassen, bei denen erste Resistenzen oft schon ein bis zwei Jahre nach Markteinführung auftreten.
In Europa stehen nach Angaben des Verbands forschender Pharma-Unternehmen (vfa) derzeit neun Antibiotika kurz vor der Zulassung. Sie richten sich alle gegen grampositive Erreger (auch MRSA), nur zwei von ihnen zusätzlich gegen Gramnegative. Basilea entwickelt ein Antibiotikum gegen Gramnegative, das sogar gegen den extrem resistenten NDM-1-Stamm von Acinetobacter wirken soll. Bis zur Marktreife werden aber mindestens noch vier Jahre vergehen.
Bakterienviren als Baukasten für antimikrobielle Waffen
Bakterienviren, sogenannte Bakteriophagen (kurz Phagen), docken so zielsicher wie Antikörper an die besonderen Oberflächenstrukturen „ihres“ Wirtsbakteriums an, das sie infizieren und in dem sie sich vermehren können. Auch multiresistente Bakterien sind diesen Virusinfektionen ausgesetzt.
Das britische Unternehmen Phico Therapeutics hat einen S. aureus-Phagen so verändert, dass im infizierten Wirtsbakterium sofort alle Prozesse zum Stillstand kommen. Das Präparat, das auf die Nasenschleimhaut aufgetragen wird, könnte in wenigen Jahren MRSA-besiedelte Nasen sanieren. Das deutsche Biotechnologieunternehmen Hyglos nutzt einen ganzen Baukasten an Bakterien-spezifischen Proteinen verschiedener Phagen. In unterschiedlichen Kombinationen werden sie in der Lebensmitteltechnologie eingesetzt, um beispielsweise EHEC-Bakterien spezifisch zu binden und abzutöten. Eine medizinische Zulassung dieser Technologie habe zurzeit ein zu hohes finanzielles Risiko, sagt Karolina Heed von Hyglos. – Sollten sich die Multiresistenzen weiter ausbreiten, könnte auch diese Kosten-Nutzen-Rechnung anders ausfallen.
Kaltes Plasma gegen Keime
Forscher vom Max-Planck-Insitut für Extraterrestrische Physik (MPE) setzen kaltes Plasma gegen bakterielle Erreger ein. Mit hohen Spannungen werden geladene Teilchen in einem Gasgemisch erzeugt, die Löcher in die Zellwand auch resistenter Bakterien schlagen. Menschliche Haut- und Gewebezellen schädigt kaltes Plasma in den getesteten Dosierungen nicht. Gemeinsam mit Medizinern hat die Arbeitsgruppe am MPE Prototypen zur Behandlung infizierter Wunden, aber auch zur Handdesinfektion entwickelt. Die Biophysikerin Julia Zimmermann verweist dabei auf einen großen Vorteil besonders für Klinikpersonal. „Kaltes Plasma wirkt nicht nur schneller, sondern auch zehn- bis 100fach effektiver als Sterilisierungslösung.“ Diese Technik lässt sich für viele, vor allem Hitze-empfindliche Oberflächen anwenden.
Keine schnelle Hilfe gegen MRE in Sicht
Alternative Therapien wie Phagen(-proteine) und kaltes Plasma bleiben im reinsten Wortsinn bisher oberflächlich und sind noch nicht marktreif. Einen Impfstoff gegen MRSA können die Ärzte frühestens 2013/14 zur Behandlung infizierter Patienten erwarten. Noch mehr Zeit wird vergehen bis neuartige Arzneimittel (Peptidantibiotika, rekombinante Antikörper, Phagenproteine) auf den Markt kommen. Vermutlich aber werden Bakterien wiederum Resistenzen entwickeln, so dass Mediziner diese Medikamente nur nach sorgfältiger Analyse und so selten wie möglich einsetzen dürften.
Grundsätzlich, aber auch um Zeit zu gewinnen, müssen verschiedene Maßnahmen greifen – strenge Krankenhaushygiene eingeschlossen -, um MRE zurückzudrängen. Einige Projekte erfassen bereits resistente Erreger in Krankenhäusern oder ermitteln Menge und Typ der verordneten Antibiotika. Multiresistenzen verlangen dabei besondere Beachtung. Bei Mensch und Tier muss der Antibiotikaverbrauch deutlich gesenkt werden. Breitband- wie Reserveantibiotika sollten nur zum Zuge kommen, wenn der bakterielle Erreger entsprechende Resistenzen aufweist. Kampagnen könnten helfen, der Öffentlichkeit, aber auch den Ärzten ihre Verantwortung im Kampf gegen MRE bewusst zu machen.
Mit etwas Glück und viel Anstrengung auf allen Ebenen gelingt es vielleicht, die Multiresistenz-Welle einzudämmen, die zu bedenkenloser Einsatz immer effektiverer Antibiotika ausgelöst hat. Doch auch neuartige Therapien werden uns nicht die Sorglosigkeit früherer Jahre zurückbringen.
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