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Dr. Bettina Hofer, Wissenschaftsjournalistin

Bakterien als blinde Passagiere in medizinischen Desinfektionsmitteln

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FDA warnt vor Krankenhausinfektionen durch Antiseptika

Wirksame Desinfektionsmittel, die vor Injektionen oder Operationen die Haut des Patienten lokal desinfizieren, sind angesichts der zunehmenden Bedrohung durch multiresistente Bakterien wichtiger denn je. Denn viele Infektionen geschehen durch Keime, die die Patienten auf Haut oder Schleimhaut ins Krankenhaus importieren oder bei  mangelnder Hygiene vom Personal von Patient zu Patient verbreitet werden . Dass ausgerechnet solche Antiseptika, die Wundinfektionen verhindern sollen,  mikrobiell verunreinigt sein können, ist erschreckend. Die FDA, die amerikanische Behörde zur Lebensmittel- und Arzneimittelsicherheit, hat bereits 2009 erwogen, sterile Produktionsbedingungen für antiseptische Produkte zu fordern. Nachdem sie diese Frage noch immer nicht endgültig bewertet hat, führt sie zum Thema in dieser Woche eine zweitägige Anhörung durch.

Im angesehenen „New England Journal of Medicine“ vom 6. Dezember veröffentlichten Drs. Christian Y. Chang und Lesley-Anne Furlong vom „Center of Drug Evaluation and Research“ der FDA einen Übersichtsartikel zu Infektionsausbrüchen in den USA, die auf bakterielle Verunreinigungen in Desinfektionsmitteln zurückzuführen sind. Unter einigen Wissenschaftlern und Medizinern scheint das Thema schon geraume Zeit diskutiert zu werden. Bisher hatte ich angenommen, dass antiseptische Produkte – wie der Name auch nahelegt – frei von mikrobiellen Kontaminationen sind. Da ein Mittel nicht gegen alle Mikroorganismen wirken kann (Sporen und Viren sind besonders problematisch), war ich davon ausgegangen, dass die Produkte steril hergestellt werden. Das scheint aber nur in wenigen Fällen so zu sein. Verunreinigungen können bereits während der Herstellung passieren, nicht erst nach Anbruch, während der Lagerung oder durch Herstellung einer Gebrauchslösung.

Kontaminierte Desinfektionsmittel als Schuldige für Infektionsausbrüche im medizinischen Sektor – Experten sprechen dann von „nosokomialen Infektionen“ – zu überführen, bedarf eines äußerst kriminalistischen Spürsinns. Die hohe „Hintergrundrate“ an Infektionen erschwert bereits die Entdeckung eines Infektionsausbruches durch verunreinigtes Desinfektionsmittel. Der Nachweis wird erschwert, weil Einmal-Verpackungen nach Gebrauch sofort im Müll verschwinden. Und wer vermutet schon ein Desinfektionsmittel als Quelle einer Infektion?

Chang und Furlong weisen auf Berichte zu verschiedenen solcher Infektionsausbrüche hin. Die Art der Bakterien könnte ein Indiz für die Quelle der Infektion sein: Bacillus cereus, Burkholderia cepacia, Pseudomonas aeruginosa oder Serratia marcescens – um nur einige zu nennen – traten besonders häufig auf und scheinen verschiedene Vorlieben zu haben: Alkohol, Iodophore (z. B. Povidone-Jod PVI), Chlorhexidin-Gluconat und quartäre Ammoniumverbindungen (z. B. Benzalkoniumchlorid).

In der europäischen Schwesterbehörde der FDA, der EMEA, scheint das Thema noch nicht auf der Tagesordnung zu stehen. Noch nicht. – Hoffentlich wissen unsere Ärzte und medizinischen Mikrobiologen hierzulande von dem nicht so ganz kleinen Problem…

 

 

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